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"Inselgeschichten: Die Möwen und die Fischbrötchen"

Auf dem Dach eines Hochhauses saßen morgens zwei Möwen. Sie schauten auf das Meer, wo Fischerboote unterwegs waren und auf die Promenade, wo Menschen spazieren gingen. Zu ihnen aufs Dach kam eine kleine Möwe. Sie schlug vor, zusammen etwas Fisch aus dem Meer zum Frühstück zu holen. „Ha! Ha! Ich werde doch nicht meinen Kopf ins Wasser stecken, da ich gerade mit meiner Frisur fertig bin!“, sprach die erste Möwe. Sie galt als schicke Möwe, denn sie trug knallrote Strümpfe und eine Locke auf dem Kopf.

Die zweite Möwe, die faule, war auch mit dem Vorschlag der kleinen Möwe nicht einverstanden: „Ha! Ha! Das Meer ist zu kalt. Lieber lege ich mich auf den Bauch und nehme hier ein Sonnenbad.“ Nachdem ihr Vorschlag abgelehnt wurde, staunte die kleine Möwe: „Wollt ihr heute nichts essen?“ Die schicke Möwe antwortete: „Scheinbar bist du neu hier! Unser ganzer Schwarm ist auf den Geschmack von Fischbrötchen gekommen. Es gibt hier nichts Leckeres als Brötchen mit Fisch, cremiger Sauce, einem Blatt Salat, serviert in einer weißen Serviette. Gleich macht die Fischersfrau ihren Laden auf, dann kannst du es probieren.“ Die faule Möwe bemerkte nur: „Fisch ohne Gräten und schnabelgerecht geschnitten ist genau das Richtige für mich!“ Die kleine Möwe staunte noch mehr: „Habt ihr Geld dafür?“ Über diese Frage lachten die zwei Möwen lange, bis die schicke Möwe rief: „Achtung! Es gibt das Zeichen zur Attacke! Ein Spaziergänger mit Fischbrötchen in der Hand kommt gerade aus dem Laden, den dürfen wir attackieren!“ Sogleich stürzten sich alle drei Möwen auf das Fischbrötchen. Sie schnappten dem ahnungslosen Spaziergänger sein Essen so geschickt weg, dass in seiner Hand nur eine weiße Serviette übrigblieb.

Solche Attacken machten die Möwen Tag für Tag. Mit jedem Tag wurden sie immer frecher. Zum Schluss verwandelte sich der Schwarm in eine Räuberbande, bloß mit einem Unterschied: Die richtigen Räuber jagen nach Geld, die Möwen aber nach Fischbrötchen. Wie es sich gehörte, gab es in der Bande einen Anführer, eine ältere Möwe. Von morgens bis abends, so lange der Fischladen geöffnet hatte, stand der Anführer auf seinem Beobachtungsposten oben auf einer Straßenlaterne. Er tat so, als schaue er bloß in den Himmel und zähle die Wolken. Aber in Wahrheit lauerte er auf die Spaziergänger mit den Fischbrötchen in der Hand.